Ich bin zwei Tage durch die Sonne geradelt und an meinem Mundwinkel verhärtet sich etwas. Es ist eine Entzündung, die nicht prickelt, es ist kein Herpes. Einen Moment habe ich überlegt, wie sehen die nächsten zwei Wochen aus? Und dann fast erleichtert festgestellt: Du bist krank, du bist verreist, ich muss also mit niemandem knutschen.
Ich kriege Herpes von allem: von meinem Zyklus, von meinem angegriffenen Immunsystem, vom Vitamin-D-Mangel, und trotz allem, trotz Creme, trotz Tablette, trotz innerer Haltung.
Ich will alle mir in meinen nahen Beziehungen angebotene Intimität willkommen heißen und erwidern. Ich kann meine eigene Rückzugsbewegung kaum erkennen, weil ich nicht auf sie gefasst bin – ich gestehe mir Gefühle der Ablehnung innerhalb meiner intimen Beziehungen nicht ein. Wenn ich mich vor einem Übermaß an Intimität nicht schütze, wirft meine Haut Bläschen. Wenn ich nicht auf meine innere Rückzugsbewegung reagiere, werde ich ansteckend. Dann ein komplizierter Tanz um die Wunde herum: Berühren, aber in keinem Fall da berühren. Nah sein, so, dass wir küssen wollen, beteuern, dass wir küssen wollen, sehnsuchtsvoll auf die Lippen und also auch auf das Bläschen, auf die Wunde schauen, aber in keinem Fall küssen. Mein Blick berührt deine intakten Lippen.
Intakt: von einer Verletzung unbeeindruckt. Nicht gefasst auf eine Verletzung. Dadurch geschützt vor der Verletzung.
Deine Berührung wandert über meinen Körper. Du bedeckst mich damit.
Meine Wunde wandert über meinen Körper. Die verheilten Stellen ersetzen die Kontur.